Es mag paradox erscheinen, doch es könnte funktionieren: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Gemüse- oder auch Ziergarten, in dem nicht das alljährliche Rein und Raus Ihren Arbeitsrhythmus prägt. Oder indem Ihre Mühe des Säens, Pflanzens, Jätens und Gießens über Wochen hinweg auch wirklich mit einer reichen Ernte belohnt wird. Indem Sie sich über lange Zeit am Bestehenden erfreuen und Ihnen mehr Zeit bleibt, Neues auszuprobieren. Im Ziergarten heißt das Zauberwort: Zwiebeln und Stauden. Möglichst gut angepasst an die regionalen Klima- und Bodenverhältnisse dauert es zwar auch ein paar Jahre, bis der Garten einen blühenden Stand erreicht hat, der es erlaubt, Narzissen und Tulpen, Phlox und Alchemilla, Sonnenhut und Astern und alle ihre Gefährtinnen und Gefährten zu genießen, anstatt immer wieder an den Beeten zu arbeiten. Aber Geduld wird meist entlohnt.
Doch wie sieht es beim Gemüse aus? Dies säen, pflanzen und kultivieren wir traditionell Jahr für Jahr aufs Neue, es sei denn, wir haben uns bereits der Permakultur verschrieben. Auf Wiederlesen und bis zur nächsten Ausgabe an alle, die an dieser Stelle aussteigen. Denn Permakultur ist in Kreisen der Hobbygärtnerinnen und -gärtner noch immer ein Sonderfall, für viele: eine Spinnerei, auch wenn Terra Preta und veganer Dünger längst die Marketingabteilungen der Erden-, Dünger- und Samenlieferanten erobert haben.
Dabei bedeutet Permakultur eigentlich nur: „Obst und Gemüse wachsen in größeren Pflanzengemeinschaften“, so beschreibt es jedenfalls recht unprätentiös Markus Kobelt, Gründer der Schweizer Baumschule Lubera. Es geht also weder um Glauben noch um Ideologie, sondern schlicht darum, die richtigen Pflanzen in guter Nachbarschaft zu kultivieren
Der essbare Garten
Immer mehr Menschen wünschen sich wieder ein wenig Kontrolle über ihre Nahrung zurück, schreibt Kobelt gemeinsam mit der Fachjournalistin Sabine Reber im gerade erschienenen Buch „Der essbare Garten“. Und wie sieht er aus, dieser Garten? In seiner Baumschule hat Kobelt in den vergangenen 30 Jahren rund 130 neue essbare Pflanzensorten gezüchtet. Grundsätzlich geht es dabei um die Resistenz und höhere Toleranz gegenüber Krankheiten, beispielsweise von Tomaten und Kartoffeln gegen Kraut- und Braunfäule. „Niemand will in seinem Garten kranke Pflanzen haben, niemand will chemischen Pflanzenschutz in seinem Lebensraum anwenden“, sagt Kobelt. Zudem ist es bei Kulturen für den Hobbygarten weniger wichtig, dass die Früchte ewig haltbar sind, vielmehr sollen sie gut schmecken und ihr Anbau soll einfach sein. Daraus ergibt sich eine gewisse Skepsis gegenüber dem schlichten Jubel über „alte Sorten“. Denn es sind nicht unbedingt die alten Sorten, die viel Hitze oder viel Regen besonders gut überstehen, die überhaupt in irgendeiner Weise an die aktuellen oder bevorstehenden Klimaverhältnisse angepasst sind. Vielmehr ist es interessant, alte Sorten in traditionellen Zuchtverfahren so weiterzuentwickeln, dass Trockenheits- und Krankheitsresistenz, Winterhärte, aber auch Ertrag und Geschmack sich weiterentwickeln, findet Markus Kobelt. Der Grundsatz: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu, gilt auch in der Pflanzenwelt.
Diversität fördern
Kobelt hat einige Beispiele parat. Etwa die Tomate Happy Black, eine seiner Züchtungen. Sie ist das Ergebnis etwa zehnjähriger Bemühungen um eine robuste Freilandtomate, der Kraut- und Braunfäule nichts anhaben können. Da macht es sich dann auch bezahlt, die alljährliche Mühe von Zucht und Pflanzung auf sich zu nehmen – damit die Tomaten eben nicht vor der Reife braun von der Pflanze fallen.
Immer wieder lohnt sich auch der Blick auf Gemüsesorten, die nicht nur ein Jahr lang kultiviert werden, sondern sich mit den Jahren zu Selbstläufern entwickeln, neben Klassikern wie dem ewigen Kohl oder Salaten, die erst im Winter so richtig zur Hochform auflaufen wie beispielsweise Winterpostelein. Markus Kobelt verfolgt zu diesem Thema interessante Zuchtstrategien. Beispielsweise hält er die klassische Prunk- oder Feuerbohne (Phaseolus coccineus) für eine regelrechte Superpflanze. Sie liefert hochwertige Proteine, bindet Stickstoff aus der Luft und kann dank ihren Rhizobien, das heißt robusten Wurzeln, mehrjährig kultiviert werden – vorausgesetzt, sie hat ausreichenden Winterschutz. Also – wenn Sie Feuerbohnen gesät haben, dann versuchen Sie doch einmal, sie zu überwintern. Wenn das klappt, fällt die Ernte im nächsten Jahr umso reichlicher aus.
Zu den Pflanzen, die Ihnen das Leben als Gemüsegärtnerin oder -gärtner künftig leichter machen werden, zählen Meerkohl, Staudengemüse wie Prärielilie, Artischocke, Spargel und Rhabarber, um nur einige zu nennen. Letzterer ist übrigens ein gutes Beispiel zum Thema alte Sorten versus Neuzüchtung: Es gibt mittlerweile dauertragende Rhabarbersorten, die drei Mal im Jahr beerntet werden können. Und einige Sorten haben essbare Blüten. Wenn Sie sich bisher noch nicht an Spargel gewagt haben: Auch hier wird, wenn die Pflanzung einmal gut angegangen ist, Geduld mit jahrelanger, reicher Ernte belohnt. ←